Roger Mahieu in seinem Antrag auf den Status „bewaffneter Widerstandskämpfer“, 11. August 1948 (Auszug)
Belgisches Nationalarchiv, Statut bewaffneter Widerstandskämpfer, F1944, RA 42047
Leben vor der Haft
Roger Mahieu wurde am 13. Mai 1923 in Ypern, Westflandern (Belgien) geboren. Bis zu seiner Verhaftung studierte er und arbeitete als Aushilfe im Versorgungsdienst von Meulebeke.
Widerstand und Verhaftung
Roger Mahieu trat im Juli 1942 der Widerstandsorganisation Geheim LegerDie „Geheimarmee“ wurde ursprünglich im Zuge der deutschen Besatzung gegründet, um im Falle von Friedensverhandlungen und einem damit verbundenen Abzug deutscher Truppen aus Belgien eine Militärverwaltung einzurichten. Ab August 1942 wurden die meisten ihrer Mitglieder von den Deutschen verhaftet, hingerichtet oder nach Deutschland überführt. bei und wurde am 17. Dezember 1942 im Alter von 19 Jahren aufgrund seiner Zugehörigkeit verhaftet.
Über die Wehrmachtsgefängnisse Gent und Brügge, das ZuchthausDie Zuchthaushaft wurde als Freiheitsstrafe bei Kriminaldelikten zusammen mit dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verhängt. Die mildere Freiheitsstrafe war die Gefängnishaft. Unter dem NS-Regime wurden die im Zuchthaus verhängten Strafmaßnahmen, insbesondere Zwangsarbeit und Entbehrung, stark verschärft. Bochum, das Strafgefangenenlager Esterwegen und das Zuchthaus Sonnenburg kam Roger Mahieu als „Nacht- und Nebel“-Gefangener mit der Nummer 578 in das Strafgefängnis Wolfenbüttel. Dort wurde er im Juni 1944 registriert. Am 2. September 1943 war er durch den VolksgerichtshofDer Volksgerichtshof (VGH) war das oberste politisches Gericht, das 1934 zur „Bekämpfung von Staatsfeinden“ im Dritten Reich eingerichtet wurde. Sein Sitz war in Berlin, es tagte aber auch in anderen Städten. Gegen ein Urteil des Volksgerichtshofs konnten keine Rechtsmittel eingelegt werden. Über 5.200 Todesurteile verhängte das Gericht. wegen „FeindbegünstigungNach § 91b Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) in der NS-Zeit definiert als das Leisten von Vorschub einer feindlichen Macht während eines Krieges bzw. bei einer drohenden kriegerischen Auseinandersetzung oder das Zufügen von Nachteilen der Kriegsmacht des Deutschen Reichs.“ zu vier Jahren Haft verurteilt worden.
Im Strafgefängnis Wolfenbüttel musste Roger Mahieu für die Braunschweiger Firma Voigtländer & Sohn arbeiten und mit anderen Strafgefangenen Zielfernrohre und Monokulare für die Wehrmacht herstellen. Voigtländer & Sohn war im Frühjahr 1944 die größte produzierende Firma auf dem Gelände des Strafgefängnisses Wolfenbüttel.
Betrieb der Firma Voigtländer & Sohn in der Kirche des Strafgefängnisses
Zeichnung: Wilfred Jensenius, 1945 (nach der BefreiungBelgien: Das komplette Staatsgebiet Belgiens wurde am 4. Februar 1945 befreit. Niederlande: Im September 1944 konnte durch die Alliierten nur ein kleiner Teil im Süden der Niederlande befreit werden. Das restliche Staatsgebiet wurde am 5. Mai 1945 befreit. Norwegen: Die Besatzung endete mit der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945.)
Gedenkstätte Wolfenbüttel
Am 7. April 1945 wurde Roger Mahieu zusammen mit 300 „Nacht-und Nebel“-Gefangenen und 50 zum Tode Verurteilten aufgrund der herannahenden alliierten Truppen vom Strafgefängnis Wolfenbüttel über Magdeburg in das Zuchthaus Brandenburg-Görden verlegt. Hier kam er am 11. April 1945 an.
Hafteingang Roger Mahieu im Zuchthaus Brandenburg-Görden, 1945
BLHA, Rep. 29 Zuchthaus Brandenburg Nr. Do. 10, Bl. 57.
Roger Mahieu wurde am 27. April 1945 durch sowjetische Truppen befreit und kehrte am 8. Juni 1945 nach Belgien zurück. Er litt nach seiner Haft an einer Knochenkrankheit, die auf Unterernährung und Entbehrungen zurückzuführen war.
Entschädigung
Am 22. September 1948 wurde Roger Mahieu durch das Ministerium für WiederaufbauMinisterium in Belgien, welches in der direkten Nachkriegszeit für die Bearbeitung von Anträgen auf bestimmte Statuten der nationalen Anerkennung, zuständig war, wie beispielsweise das Statut politischer Gefangener., Abteilung Brügge, als „politischer Gefangener“ anerkannt. Zunächst wurde ihm eine finanzielle Entschädigung sowie weitere Sonderzahlungen für die Haftzeit von Dezember 1942 bis April 1945 zugesprochen.
Auch seinem Antrag auf Anerkennung als „bewaffneter Widerstandskämpfer“ gab das Ministerium für nationale Verteidigung, Abteilung Widerstand am 9. Februar 1949 statt. Als Zeitraum der Anerkennung galt hier der 1. Juli 1942, der Tag seines Eintritts in die Organisation Geheim Leger, bis zum Tag vor seiner Rückkehr nach Belgien, der 7. Juni 1945.
Am 16. März 1950 beantragte Roger Mahieu, dass der Zeitraum der Anerkennung seiner Haft als „politischer Gefangener“ bis zu seiner Rückkehr nach Belgien im Juni 1945 verlängert werden sollte. Im August 1953 wurde der Antrag bewilligt. Als Haftzeit wurden damit 30 volle Monate festgelegt.
Aus dem GlobalabkommenZwischen 1959 und 1964 schloss die Bundesrepublik Deutschland bilaterale Entschädigungsabkommen mit zwölf westeuropäischen Staaten. Darin wurden Pauschalzahlungen vereinbart, mit denen alle Entschädigungsansprüche abgegolten werden sollten. Die Verteilung der Gelder oblag jeweils dem Empfängerstaat. Belgiens mit Deutschland erhielt Roger Mahieu zwischen 1962 und 1965 aufgrund seines Status als „politischer Gefangener“ Zahlungen. Am 20. Februar 2001, im Alter von 78 Jahren, beantragte Roger Mahieu Zahlungen aus dem im August 2000 eingerichteten Fond zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeiter*innen.
Roger Mahieu war Ehrenvorsitzender der politischen Gefangenen, Abteilung Tielt. Am 8. Oktober starb er und wurde in der Krypta der politischen Gefangenen in Meulebeke beigesetzt.
Todesanzeige Roger Mahieus, 2018
inmemoriam.be