Interview mit Ellen van Dijk-Geurtsen, Tochter von Hendrikus Geurtsen, 2024 (Auszug)
Gedenkstätte Wolfenbüttel
Leben vor der Haft
Hendrikus Geurtsen wurde am 22. Dezember 1923 in Zeist, einem Dorf in der Nähe von Utrecht in den Niederlanden geboren. Er hatte zwei ältere Brüder. Weil er mit 1,92 Meter sehr groß war, wurde er „der Lange“ genannt. Sein Vater war Berufssoldat. Hendrikus Geurtsen machte während des Krieges eine Ausbildung zum Lehrer. In seiner Freizeit spielte er Akkordeon und Orgel. Da er auch in den Kirchen in Zeist spielte, wurde er nicht für den Arbeitseinsatz dienstverpflichtet. Im Jahr 1942 starb seine Mutter an einer Krankheit.
Widerstand und Verhaftung
Während der deutschen Besatzung verteilte Hendrikus Geurtsen die Zeitschrift „De NieuwsbodeDe Nieuwsbode Eine von Studierenden gegründete Widerstandszeitung, die von 1942 bis zum 1. Mai 1945 in Amsterdam und Utrecht erschien.“, die Meldungen des englischen Nachrichtendienstes verbreitete. Am 10. März 1944 wurde er in Zeist festgenommen und nach drei Tagen im Polizeibüro Zeist in das Kriegswehrmachtsgefängnis in Utrecht überstellt. Der Vorwurf gegen ihn lautete „Besitz und Verbreitung von Hetzschriften“.
Die Gestapo hielt in diesem Formular die Festnahme von Hendrikus Geurtsen fest,
13. März 1944
NLA Abteilung Wolfenbüttel
Stolz auf den Vater
Ellen van Dijk-Geurtsen
Tochter von Hendrikus Geurtsen, 2024
Verurteilung und Haft
Am 1. Juli 1944 wurde Hendrikus Geurtsen in das deutsche Untersuchungs- und Strafgefängnis Utrecht eingeliefert und am 15. November 1944 wegen „Verbreitung deutschlandfeindlicher Schriften in Tateinheit mit Verbreitung verbotener Rundfunksendungen“ zu einem Jahr und sechs Monaten Haftstrafe verurteilt. Strafmildernd wurde ihm unter anderem ausgelegt, dass er sich „frei und offen zu seinen Straftaten bekannt“ hatte und dass „er noch sehr jung ist“.
Erste Seite der Urteilsbegründung von Hendrikus Geurtsen.
NLA Abteilung Wolfenbüttel, 13. März 1944
„Mit Stiefeln gegen die Zellentüren“
Ellen van Dijk-Geurtsen
Tochter von Hendrikus Geurtsen, 2024
Im März 1945 wurde Hendrikus Geurtsen in das Strafgefängnis Wolfenbüttel verlegt. Acht Tage nach der Befreiung am 11. April 1945 entließ ihn die britische Militärregierung aus der Haft. Am 5. Mai 1945 kehrte er in die Niederlande zurück.
Entschädigung
Im Juli 1945 beantragte Hendrikus Geurtsen Unterstützung beim Afwikkelingbureau ConcentratiekampenAfwikkelingbureau Concentratiekampen Das „Abwicklungsbüro Konzentrationslager“ entstand bereits während der deutschen Besatzung. Nach der Befreiung half es bei der Suche nach Vermissten und der sozialen Betreuung ehemaliger politischer Gefangener. und meldete sich als politischer Häftling. Er reagierte damit auf eine Anzeige in der Presse. Da die Versorgungslage sehr schlecht war, hoffte er auf zusätzliche Lebensmittelrationen um sich von seiner Haftzeit zu erholen. Der Antrag wurde wie bei den meisten anderen Anträgen ehemaliger im Strafgefängnis Wolfenbüttel Inhaftierter abgelehnt. Die Begründung ist unklar.
Nachdem die Niederlande in den 1960er Jahren das GlobalabkommenGlobalabkommen Zwischen 1959 und 1964 schloss die Bundesrepublik Deutschland bilaterale Entschädigungsabkommen mit zwölf westeuropäischen Staaten. Darin wurden Pauschalzahlungen vereinbart, mit denen alle Entschädigungsansprüche abgegolten werden sollten. Die Verteilung der Gelder oblag jeweils dem Empfängerstaat. mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hatten, beantragte Hendrikus Geurtsen Entschädigung beim Zentralen Abwicklungsbüro für deutsche Schadensleistungen. Dieses verteilte die Gelder aus dem sogenannten Globalabkommen mit der Bundesrepublik Deutschland. Da er im Widerstand gewesen war und Flugblätter verteilt hatte, galt er als anspruchsberechtig. Dieses Mal wurde seinem Antrag stattgegeben.
In diesem Beutel bewahrte Hendrikus Geurtsen Dokumente zu seinen Entschädigungszahlungen auf, die seine Tochter später fand.
Privatbesitz Ellen van Dijk-Geurtsen
Ein Beutel voller Dokumente
Ellen van Dijk-Geurtsen
Tochter von Hendrikus Geurtsen, 2024
Auswirkungen der Haft auf die Familie
Im Dezember 1949 heirateten Hendrikus Geurtsen und Anna Voorbergen. Sie bekamen drei Kinder. Die Haftzeit beeinflusste sein Leben weiterhin. Er litt unter Alpträumen. Dennoch wurde in der Familie kaum über die Vergangenheit gesprochen. Aus der Perspektive seiner Tochter erhielt Hendrikus Geurtsen keine Wertschätzung für sein Handeln. Auch er selbst hat sich nicht eingestanden, dass er „etwas Besonderes“ geleistet hatte.
Engagement der Folgegeneration
Ellen van Dijk-Geurtsen setzte sich mit der Haft ihres Vaters und deren Auswirkungen eingehend auseinander. Als sie 35 war, fand sie seine Tagebücher. Dennoch sprach sie nicht mit ihrem Vater über das, was er erlebt hatte. In den letzten Jahren besuchte sie seine Haftstätten, das Untersuchungs- und Strafgefängnis Wolvenplein in Utrecht und die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel. Sie versucht, mehr über die Zeit seiner Gefangenschaft zu erfahren.
Was geschah während der Haftzeit?
Ellen van Dijk-Geurtsen
Tochter von Hendrikus Geurtsen, 2024
Ellen van Dijk-Geurtsen spricht als Mitglied von Amnesty International vor Jugendlichen über Menschenrechte. Ihr ist es wichtig bekannt zu machen, was ihr Vater durchmachte. Sie wünscht sich, dass Menschen auch mit verschiedenen Meinungen einen Dialog miteinander führen.