Interview mit Danny Vanhouwe, Sohn von Hector Vanhouwe
Gedenkstätte Wolfenbüttel, 2024
Leben vor der Haft
Am 10. März 1923 wurde Hector Vanhouwe in Berlare als Sohn von Jules Vanhouwe geboren. Er arbeitete nach der Schule als Flachsarbeiter im Betrieb seiner Eltern.
Widerstand und Verhaftung
Hector Vanhouwe trat im März 1941 der B.V.L.- BevrijdingsIeger bei, nachdem er von dem lokalen Polizeibeamten Alfons de Grauwe angesprochen wurde.
Er schmuggelte unter anderem Pakete mit Waffen, versteckte diese bei sich und verteilte Flugblätter. Im September 1942 wurde der 19-jährige sowie weitere Mitglieder der Widerstandsgruppe von der GestapoDie Gestapo, die geheime Staatspolizei des NS-Regimes, war die politische Polizei in der NS-Zeit. verhaftet. In seinem Erinnerungsbericht, den er für den Heimatverein Berlare im November 1987 schrieb, erinnerte sich Hector Vanhouwe an die Festnahme:
„30. September 1942. Die ´Gestapo´ schlägt in Berlare zu! Hausdurchsuchungen, Fahndungen, Verhaftungen und Verhöre, die dazu führen, dass zwei bekannte Bürger aus Berlare verhaftet und in eine Sammelstelle in Lokeren gebracht werden. […] Panikstimmung in mehreren Familien. In jenen Tagen wimmelte es in Berlare nur so von grauen Uniformen.“
Heem- en Oudheidkundige Kring V.Z.W. Berlare: Zesmaandelijks Tijdschrift. 5. Jaargang Nr. 2-November 1987. S. 3.
Von der Widerstandsgruppe B.V.L.- BevrijdingsIeger wurden im September und Oktober 1942 in Belgien insgesamt 120 Mitglieder verhaftet.
Haft
Über Gent und das ZuchthausDie Zuchthaushaft wurde als Freiheitsstrafe bei Kriminaldelikten zusammen mit dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verhängt. Die mildere Freiheitsstrafe war die Gefängnishaft. Unter dem NS-Regime wurden die im Zuchthaus verhängten Strafmaßnahmen, insbesondere Zwangsarbeit und Entbehrung, stark verschärft. Bochum wurde Hector Vanhouwe schließlich weiter in das KonzentrationslagerSeit März 1933 im Reichsgebiet und später in den besetzten Gebieten errichtete Haftstätten, zunächst für Gegner*innen des NS-Regimes, deren Alltag durch willkürlich ausgeübte Gewalt und Terror geprägt war. Die Gestapo war für die Einweisung von KZ-Häftlingen zuständig und bediente sich hierzu dem Instrument der sog. Schutzhaft. Die Häftlingsgemeinschaft war einer lagerinternen Hierarchie unterworfen und wurde ab 1942 verstärkt zur Zwangsarbeit in der deutschen Rüstungsindustrie herangezogen. Auf diese Weise fielen tausende Insassen dem nationalsozialistischen Programm „Vernichtung durch Arbeit“ zum Opfer. Esterwegen verlegt. Er beschreibt in seinem Erinnerungsbericht zunächst eine Erleichterung und optimistische Stimmung:
„Endlich frei von diesen unheimlichen Zellen, von der Einsamkeit und von den Läusen.“
Quelle: Heem- en Oudheidkundige Kring V.Z.W. Berlare: Zesmaandelijks Tijdschrift. 5. Jaargang Nr. 2-November 1987. S. 15
Allerdings hielt dieser bessere Zustand nur kurze Zeit an. Im November 1943 wurde er schließlich in das Strafgefängnis Wolfenbüttel gebracht:
„Es handelte sich um einen sehr begrenzten Transport von etwa 50 Gefangenen. […] Nach einer dreitägigen Reise wurden wir in das Gefängnis von Wolfenbüttel, unweit der Stadt Braunschweig in Mitteldeutschland, gebracht. Verängstigt wurden wir, 50 ausgemergelte Häftlinge, in einen Raum mit Duschbädern verwiesen. […] Wir waren zu dritt in einer kalten, feuchten Zelle eingesperrt. Hier in Wolfenbüttel herrschte eine tödliche Stille.“
Quelle: Heem- en Oudheidkundige Kring V.Z.W. Berlare: Zesmaandelijks Tijdschrift. 5. Jaargang Nr. 2-November 1987. S. 20.
Auswirkungen der Haft
Danny Vanhouwe
Sohn von Hector Vanhouwe
2024
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Mehr InformationenEinige der Gefangenen unterstützten sich dennoch gegenseitig und es entwickelten sich Freundschaften. So zeichnete der norwegische Inhaftierte und „Nacht- und Nebel“-GefangeneMindestens 7.000 des Widerstands verdächtigte Personen aus Frankreich, den Beneluxländern und Norwegen wurden in Folge des „Nacht- und Nebel“-Erlasses vom 7. Dezember 1941 ins Deutsche Reich verschleppt und dort inhaftiert. Sie wurden komplett isoliert, bekamen anstatt ihres Namens eine Nummer und durften keinen Kontakt zu Angehörigen, Mitgefangenen und zur Außenwelt aufnehmen. Viele starben in der Haft oder wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Wilfred Jensenius für Hector Vanhouwe eine Karte zum 22. Geburtstag. Obwohl es den Inhaftierten verboten war, Informationen von außerhalb des Strafgefängnisses zu empfangen, erfuhren sie von der Invasion der Alliierten in der Normandie. Einigen war es gelungen, ein Radio zu bauen und den Vormarsch der Alliierten zu verfolgen. Dieses weckte die Hoffnung auf BefreiungBelgien: Das komplette Staatsgebiet Belgiens wurde am 4. Februar 1945 befreit. Niederlande: Im September 1944 konnte durch die Alliierten nur ein kleiner Teil im Süden der Niederlande befreit werden. Das restliche Staatsgebiet wurde am 5. Mai 1945 befreit. Norwegen: Die Besatzung endete mit der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945. unter den Inhaftierten. Vor der Befreiung des Strafgefängnisses Wolfenbüttel am 11. April 1945 durch US-amerikanische Truppen wurden die NN-Gefangenen jedoch ins Zuchthaus Brandenburg-Görden verlegt.
„Als die Amerikaner und Briten im Frühjahr 1945 immer tiefer nach Deutschland vordrangen, wurden wir erneut transportiert. Manchmal mit dem Zug, meist aber zu Fuß, landeten die Überlebenden schließlich über Magdeburg im Zuchthaus Brandenburg, nahe Berlin. Diese letzten Transporte waren unmenschlich erbärmlich. Wer bei den tagelangen Fußmärschen nicht mehr mithalten konnte, wurde auf der Stelle erschossen.“
Quelle: Heem- en Oudheidkundige Kring V.Z.W. Berlare: Zesmaandelijks Tijdschrift. 5. Jaargang Nr. 2-November 1987. S. 20
Geburtstagskarte zum 22. Geburtstag von Hector Vanhouwe im Strafgefängnis Wolfenbüttel, Zeichnung von Wilfred Jensenius, 1945
Privatbesitz Danny Vanhouwe
Befreiung und Rückkehr
Das Zuchthaus Brandenburg-Görden wurde am 27. April 1945 durch sowjetische Truppen befreit. Am 03. Juni 1945 kehrte Hector Vanhouwe nach Belgien zurück. Nach seiner Haft unterhielt er weiterhin Kontakt zu ehemaligen Mitinhaftierten, wie beispielsweise dem Norweger Gustav Johan Fagerthun.
Die politischen Gefangenen kehrten unter großer öffentlicher Anteilnahme als Helden nach Berlare zurück, 1945
Privatbesitz Danny Vanhouwe
Weihnachtsgruß an Hector Vanhouwe von dem ehemaligen norwegischen Mitinhaftierten Gustav Johan Fagerthun, Dezember 1945
Privatbesitz Danny Vanhouwe
Hector Vanhouwe war – ebenso wie André Charon – Mitglied des belgischen Überlebendenverbandes Amicale des Prisonniers Politiques Rescapés de WolfenbüttelEhemalige belgische Inhaftierte des Strafgefängnisses Wolfenbüttel gründeten 1948 einen Überlebendenverband der politischen Gefangenen. Der Verband diente den Mitgliedern zum Austausch über Verfolgungs- und Hafterfahrungen und als Interessenvertretung, unter anderem für soziale und medizinische Hilfen, der Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen und der gesellschaftlichen Wahrnehmung als Opfergruppe.. In diesem Verband tauschten sich die ehemaligen Inhaftierten über ihre Hafterfahrungen aus sowie darüber, wie sie soziale und medizinische Hilfe erhalten konnten. Zudem setzten sie sich gemeinsam für die Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen ein.
Entschädigung
Das belgische Verteidigungsministerium verlieh Hector Vanhouwe im Dezember 1947 den Status eines „bewaffneten Widerstandskämpfers“. Im Juni 1948 erhielt er zudem den Status und Titel eines politischen Gefangenen. Im Beschluss über seinen Antrag heißt es:
„Der Antragsteller kann das Statut der politischen Gefangenen in Anspruch nehmen;
Der Antragsteller hat Anspruch auf den Titel „Politischer Gefangener“.
Er war vom 28.9.42 bis zum 4.6.45 entweder insgesamt 981 Tage oder 32 volle Monate von 30 Tagen oder sechs Perioden von 6 Monaten Haft inhaftiert.
Er hat Anspruch auf eine außerordentliche Entschädigung […]
Er hat Anspruch auf eine zusätzliche Entschädigung, die sechs Haftperioden von sechs Monaten entspricht.“
Das vorliegende Zeugnis ersetzt und annulliert das am 03.06.48 erstellte Zeugnis.
Ministerium für Landesverteidigung
Bündelnummer. I/3935
Dienstleistungen des Hauptvorstands
Zentraler Dienst des Zuchtbuchs
Kwartier Koningin Elisabeth
Everestraat
1140 Brüssel
ZEUGNIS
Der Status des bewaffneten Widerstandskämpfers wurde Herrn VANHOUWE, Hector,
geboren in BERLARE am 10. März 1923, zuerkannt
von der Kontrollkommission von GHENT am 2. Dezember 1947 in Anwendung von Artikel 1 des Gesetzesdekrets vom 19. September 1945, mit dem das Statut des bewaffneten Widerstands eingeführt wurde.
Die beteiligte Partei ist der Gruppierung „B.L.“ angegliedert.
Die bei dem Widerstand verbrachte Zeit beträgt 4 Jahre und 1 Monat, also vom 01.06.41 bis zum 03.06.45, aufgerundet auf den höheren Monat.
Brüssel, 9. Juli 1979
Für den Direktor,
A. ORBIE
Verwaltungsleiter
ZEUGNIS für:
den Beteiligten;
die Gruppierung;
N.W.O.S.
(Nationale Organisation für Veteranen, Exilanten und politische Gefangene)
C.D.S.
R.A.-D.H.;
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WICHTIGE BEMERKUNG.
Dem Inhaber wird empfohlen, dieses Zeugnis unter keinen Umständen zu veräußern. Erforderlichenfalls kann er eine Kopie davon anfertigen und diese von der Gemeinde seines Wohnsitzes beglaubigen lassen.
91752 – Druckerei der Streitkräfte – 15.000 Ex.
Im März 1990 starb Hector Vanhouwe. Bis zu seinem Tod hatte er sich in zahlreichen Verbänden und Initiativen engagiert.
Engagement der Folgegeneration
Danny Vanhouwe, Sohn von Hector Vanhouwe, setzt sich intensiv mit der Haft seines Vaters auseinander. Er besuchte im Jahr 2023 mit einer belgischen Delegation im Rahmen einer Pèlerinage (Gedenkreise) unter anderem die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel. Belgische Überlebendenverbände führen regelmäßig Gedenkreisen zu Strafgefängnissen und ehemaligen Konzentrationslagern durch und bilden den Weg der Haftorte ab, den die Strafgefangenen nehmen mussten.
Für Danny Vanhouwe ist es wichtig, dass die Erinnerung an die belgischen Widerstandskämpfer*innen des Zweiten Weltkriegs aufrechterhalten wird.
Danny Vanhouwe im ehemaligen Hinrichtungsgebäude des Strafgefängnisses Wolfenbüttel, 2023
Gedenkstätte Wolfenbüttel