Abschiedsbrief von Eugeen Callewaert, 15. Juni 1944 (Auszug)

Bundesarchiv Berlin
Eugeen Callewaert Portrait

Eugeen Callewaert

09. Juni 1894 – 15. Juni 1944

Leben vor der Haft

Eugeen Callewaert wurde am 9. Juni 1894 in Lichtervelde in Belgien geboren. Mit seiner Ehefrau Maria-Louisa Casselman, hatte er vier Söhne und eine Tochter. Nach dem Tod seines Vaters Felix Callewaert und der Zerstörung der elterlichen Akkordeonfabrik durch einen Bombenangriff im Ersten Weltkrieg übernahm Eugeen Callewaert 1918 die Leitung und baute die Fabrik neu auf. Außerdem engagierte er sich in der Kommunalpolitik und wurde 1933 Stadtrat. Ab 1937 wurde er zunächst kommissarisch und 1938 offiziell zum Bürgermeister von Lichtervelde ernannt. Er führte sowohl dieses Amt als auch die Unternehmensleitung bis zu seiner Verhaftung 1942 fort.

Eugeen Callewaert Akkordeon

Widerstand und Verhaftung

Nach der deutschen Besetzung Belgiens 1940 gründeten verschiedene Bewohner Lichterveldes Anfang 1942 einen lokalen Zweig der Widerstandsgruppe „Weiße BrigadeWeisse Brigade Viele flämische Widerstandsorganisationen trugen den Namen Weiße Brigade. Sie grenzten sich damit von der Schwarzen Brigade ab, die eine paramilitärische Organisation des rechtsextremen und nationalistischen Vlaams Nationaal Verbond war.“, die Flugblätter verteilte, Nachrichten verbreitete und Waffen besorgte. Eugeen Callewaert schloss sich der Gruppe an. Die Mitglieder wurden verraten, in Folge von Hitlers „Nacht- und NebelNacht- und Nebel-Gefangene Mindestens 7.000 des Widerstands verdächtigte Personen aus Frankreich, den Beneluxländern und Norwegen wurden in Folge des „Nacht- und Nebel“-Erlasses vom 7. Dezember 1941 ins Deutsche Reich verschleppt und dort inhaftiert. Sie wurden komplett isoliert, bekamen anstatt ihres Namens eine Nummer und durften keinen Kontakt zu Angehörigen, Mitgefangenen und zur Außenwelt aufnehmen. Viele starben in der Haft oder wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet.“-Erlass am 14. September 1942 verhaftet und unter streng geheimen Maßnahmen im März 1943 nach Deutschland gebracht.

Spielt die KollaborationKollaboration Bezeichnet die Zusammenarbeit mit den Nationalsozialist*innen bzw. die Unterstützung der deutschen Besatzungsmacht durch Einzelne, eine Gruppe oder eine Regierung. Heimkehrenden Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter*innen wurde oft vorgeworfen, Kollaborateur*innen des NS-Regimes gewesen zu sein. während der Besatzungszeit heute noch eine Rolle?

Geert Callewaert
Enkel von Eugeen Callewaert, 2023

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Haft

Nach mehrmaliger Verlegung in verschiedene Haftanstalten verurteilte der VolksgerichtshofVolksgerichtshof Der Volksgerichtshof (VGH) war das oberste politisches Gericht, das 1934 zur „Bekämpfung von Staatsfeinden“ im Dritten Reich eingerichtet wurde. Sein Sitz war in Berlin, es tagte aber auch in anderen Städten. Gegen ein Urteil des Volksgerichtshofs konnten keine Rechtsmittel eingelegt werden. Über 5.200 Todesurteile verhängte das Gericht. Eugeen Callewaert in Leer schließlich zum Tode. Er wurde wegen der „Vermittlung des Waffenerwerbs“ für die Weiße Brigade der „Beihilfe zur FreischärlereiFreischärlerei Nach § 3 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) galt als Freischärler, wer als Zivilist, also ohne erkennbar einer feindlichen Armee anzugehören, Handlungen gegen die Wehrmacht oder eine mit ihr verbündete Armee durchführte. Laut KSSVO stand auf Freischärlerei die Todesstrafe. Soldaten gegnerischer Armeen, die diese Handlungen durchführten, galten im Gegensatz zu Zivilisten als Kriegsgefangene. und FeindbegünstigungFeindbegünstigung Nach § 91b Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) in der NS-Zeit definiert als das Leisten von Vorschub einer feindlichen Macht während eines Krieges bzw. bei einer drohenden kriegerischen Auseinandersetzung oder das Zufügen von Nachteilen der Kriegsmacht des Deutschen Reichs.“ für schuldig befunden, auch wenn seine Mitgliedschaft nicht belegt werden konnte. Daraufhin wurde er in das Strafgefängnis Wolfenbüttel verlegt.

Auswirkung der Haft auf die Angehörigen heute

Geert Callewaert
Enkel von Eugeen Callewaert, 2023

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Gnadengesuch und Hinrichtung

„Mit einem gebrochenen Herzen über dieses Urteil bitte ich Sie höflich und ergeben, mit dem vollsten Vertrauen, Herr Oberreichsanwalt, um Begnadigung.“

Gnadengesuch von Eugeen Callewaert, 2. Mai 1944 (Auszug)

Bundesarchiv Berlin

Am 2. Mai 1944 verfasste Eugeen Callewaert ein Gnadengesuch, das jedoch erfolglos blieb.

Am 15. Juni 1944 wurde Eugeen Callewaert gemeinsam mit 15 weiteren Mitgliedern der Gruppe aus Lichtervelde und Torhout im Strafgefängnis Wolfenbüttel hingerichtet. Kurz vor seinem Tod schrieb er einen Abschiedsbrief.  Der Brief konnte erst im Jahr 1990 an die Familie übermittelt werden, nachdem er im Potsdamer Staatsarchiv aufgefunden wurde.

„Liebstes Mamachen und liebe Kinder, dass Gottes heiliger Wille geschehe, ich nehme Abschied von Euch und erwarte für meine Seele Gottes heilige Gnade, denn ich versichere Euch, liebstes Mamachen und geliebte Kinder, ich sterbe als ein Märtyrer des Guten.“

Abschiedsbrief von Eugeen Callewaert, 15. Juni 1944 (Auszug)

Bundesarchiv Berlin

Die sterblichen Überreste der hingerichteten 16 Widerstandskämpfer aus Lichtervelde und Torhout wurden im August 1947 in Wolfenbüttel exhumiert, nach Belgien überführt und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Friedhof in Lichtervelde beigesetzt.

Das Ehrengrab der Widerstandsgruppe in Lichtervelde heute

Marijke Callewaert
Enkelin von Eugeen Callewaert, 2023

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Entschädigung

Maria-Louisa Casselman, Witwe von Eugeen Callewaert, erhielt bereits 1944 eine monatliche Beihilfe, da ihr Mann ins Deutsche Reich deportiert und als „politischer GefangenerStatut „politischer Gefangener“ Das im Februar 1947 in Belgien verabschiedete Statut berücksichtigte Menschen belgischer Nationalität, die aus politischen Gründen länger als 30 Tage in Gefangenschaft waren, Misshandlung erlitten oder hingerichtet worden waren. Es unterschied zwischen „Begünstigten“ und Personen, denen aus „patriotischen oder selbstlosen Gründen“ ein Titel verliehen wurde, was viele jüdische Verfolgte ausschloss. Auch Angehörige konnten Anträge für Verstorbene stellen.“ anerkannt worden war. Diese Zahlung half ihr dabei, ihre fünf Kinder zu versorgen.

1947 wurde Maria-Louisa Casselman die erste Bürgermeisterin in Belgien und folgte damit ihrem Mann in das Amt. Sie war Bürgermeisterin in Lichtervelde von 1947 bis 1967.

Marie-Louisa Casselman, Witwe von Eugeen Callewaert, 1960 als Bürgermeisterin

Heemkundige Kring Lichtervelde
Eugeen Callewaert Bürgermeisterin Marie-Louisa Casselman

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Ann Callewaert
Enkelin von Eugeen Callewaert, 2023

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Geert Callewaert
Enkel von Eugeen Callewaert, 2023

Am 30. September 1949 erhielt Eugeen Callewaert posthum auf Antrag seiner Frau den Titel und Status eines „politischen Gefangenen“. Sie und ihre zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen Kinder Bernard und Monique waren als Angehörige ebenfalls anspruchsberechtigt. Im Rahmen dieser Anerkennung erhielt Maria-Louisa Casselman eine Entschädigung für die Haftzeit ihres Mannes. Zudem unterstützte der belgische Staat die Schulbildung der fünf Kinder finanziell, die nun Halbwaisen waren.

Eugeen Callewaert Beschluss Verleihung Status Politischer Gefangener posthum Seite 1

Beschluss zur Verleihung des Statuts „politischer Gefangener“ posthum sowie an die Rechtsnachfolger

Belgisches Nationalarchiv. 
Statut bewaffneter Widerstandskämpfer,  
F1944, box nr. 107

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Marijke Callewaert
Enkelin von Eugeen Callewaert, 2023

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Paul Callewaert
Enkel von Eugeen Callewaert, 2023

1948 wurde Eugeen Callewaert posthum als „bewaffneter WiderstandskämpferStatut „bewaffneter Widerstandskämpfer“ Im September 1945 in Belgien geschaffenes Statut. Antragstellende mussten die Zugehörigkeit zu einer Widerstandsorganisation oder eine individuelle Widerstandsaktivität nachweisen. Die Zeit der Widerstandstätigkeit wurde als aktiver Militärdienst anerkannt und die Führer*innen der Widerstandsbewegungen hatten Anspruch auf höhere militärische Dienstgrade. Bis 1950 wurden 140.000 Medaillen an Widerstandskämpfer*innen ausgegeben, bei einer tatsächlichen Mitgliedszahl in den Widerstandsorganisationen von 70.000 Personen.“ anerkannt. Dabei wurde die Zeit seit der Inhaftierung bis zur Hinrichtung, 2 Jahre und 7 Monate, dem Dienst in der regulären belgischen Armee gleichgesetzt.

In den Jahren von 1962 bis 1965 erhielt Maria-Louisa Casselman als Anspruchsberechtigte des Status „politischer Gefangener“ Zahlungen im Rahmen des Globalabkommens der Bundesrepublik Deutschland mit Belgien.

 „Es soll eine Anerkennung geben“

Geert Callewaert
Enkel von Eugeen Callewaert, 2023

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Nachfolgende Generationen

Sowohl für die Stadt Lichtervelde wie auch für Familie Callewaert ist es wichtig, die Erinnerung an Eugeen Callewaert und die Widerstandsgruppe Lichtervelde aufrecht zu erhalten. In Lichtervelde findet jährlich eine Gedenkfeier für die Gruppe statt. 2024 gab es besondere Veranstaltungen zum 80. Jahrestag der Hinrichtung der Widerstandskämpfer.

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Paul Callewaert,
Enkel von Eugeen Callewaert, 2023

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Geert Callewaert,
Enkel von Eugeen Callewaert, 2023

Objekte der Erinnerung

Paul Callewaert
Enkel von Eugeen Callewaert, 2023

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