In der unmittelbaren Nachkriegszeit trugen die meisten hilfsbedürftigen Verfolgten selbst die Hauptverantwortung für ihr Überleben, insbesondere angesichts der chaotischen Umstände jener Zeit. Erst einige Monate später übernahm die britische Militärregierung die Führung im Umgang mit den Verfolgten. Die im Februar 1946 umgesetzte zonenpolitische Anweisung Nr. 20 ersetzte die bis dato eher vagen, punktuellen oder rein lokalen Anweisungen.[i] Mit der ZPA Nr. 20 bekamen rassisch, religiös oder politisch Verfolgte die Möglichkeit, Vergünstigungen bei der damals schlechten Lebensmittelversorgung, Unterstützung bei der Wohn-, und Arbeitsplatzwahl sowie finanzielle Hilfen zu bekommen.[ii] Ziel war eine Verbesserung des Lebensstandards, jedoch nicht die Entschädigung für erlittenes Unrecht.[iii] Außerdem sollte der deutschen Öffentlichkeit vor Augen geführt werden, dass Gegner des Nationalsozialismus angemessene Anerkennung bekommen würden.[iv] Kreissonderhilfsausschüsse wurden zur Umsetzung der Entschädigungsregelungen gebildet.[v]
Nach intensiven Beratungen seit Ende 1945 über ein einheitliches Entschädigungsgesetz für die britische Zone wurde schließlich sowohl von der britischen Militärregierung als auch vom Zonenbeirat der britischen Zone beschlossen, dass die Einführung eines solchen Gesetzes in die Verantwortung der einzelnen Länder fallen sollte.[vi] Hieraus entstanden bis 1949 z.B. Gesetze zur Haftentschädigung.[vii] Im Gegensatz zur US-Zone fehlten jedoch Gesetze für Gesundheits- und Existenzschäden.[viii]
Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 ermöglichte eine einheitliche Gesetzgebung, jedoch wurde das Bundesergänzungsgesetz (BErgG) erst 1953 verabschiedet.[ix] Größtes Problem hierbei waren Fragen über die Kompetenz- und Kostenverteilung zwischen Bund und Ländern.[x] Außerdem stand die Wiedergutmachung weder politisch noch gesellschaftlich im Vordergrund.[xi] Das Gesetz hatte viele Mängel und war ein Provisorium.[xii] Opfer der NS-Verfolgung in der britischen Zone konnten demnach Entschädigung für Existenz- und Vermögensschäden erhalten, während auch emigrierten Verfolgten die Möglichkeit zur Entschädigungszahlung offenstand.[xiii] Der Kreis der Berechtigten umfasste nun Personen, die aufgrund von Rasse, politischer Einstellung, Glauben, dem aktivem Einsatz gegen Missachtung der Menschenwürde oder Vernichtungsgefahr verfolgt wurden.[xiv] Allerdings waren bestimmte Gruppen wie beispielsweise als sogenannte asozial oder homosexuell Verfolgte ausgeschlossen.[xv]
Bereits drei Jahre nach in Kraft treten des BErgG wurde das BundesentschädigungsgesetzBundesentschädigungsgesetz BEG Das rückwirkend ab Oktober 1953 geltende Gesetz war das erste bundeseinheitliche geltende Entschädigungsgesetz für Menschen, die während des Nationalsozialismus Enteignung, Zwangsarbeit, Deportation und Lagerhaft erleiden mussten. Anspruchsberechtigt waren Personen, die zum 31. Dezember 1952 oder davor ihren Wohnsitz im Bundesgebiet bzw. im früheren Deutschen Reich hatten sowie ihre Hinterbliebenen. Ausländische NS-Verfolgte waren von dem Gesetz somit zum großen Teil ausgeschlossen. (BEGBundesentschädigungsgesetz BEG Das rückwirkend ab Oktober 1953 geltende Gesetz war das erste bundeseinheitliche geltende Entschädigungsgesetz für Menschen, die während des Nationalsozialismus Enteignung, Zwangsarbeit, Deportation und Lagerhaft erleiden mussten. Anspruchsberechtigt waren Personen, die zum 31. Dezember 1952 oder davor ihren Wohnsitz im Bundesgebiet bzw. im früheren Deutschen Reich hatten sowie ihre Hinterbliebenen. Ausländische NS-Verfolgte waren von dem Gesetz somit zum großen Teil ausgeschlossen.) mit 241 Paragraphen veröffentlicht und trat rückwirkend ab 1953 in Kraft.[xvi] Durch das BEG wurde der Personenkreis der Berechtigten erweitert (z.B. Personen, die einem Verfolgten nahegestanden haben), jedoch blieben weiterhin zentrale Gruppen wie Homosexuelle oder „Asoziale“ ausgeschlossen.[xvii] Außerdem wurden Wohnsitz- und Stichtagsbeschränkungen des BErgG zwar gelockert, aber nicht abgeschafft. Anspruchsberechtigt waren nun Personen, die am 31. Dezember1952 ihren Wohnsitz oder dauerhaften Aufenthalt in der BRD hatten, vor diesem Datum verstarben, oder aus dem Deutschen Reich nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 ausgewandert oder deportiert worden waren.[xviii] Durch dieses „Territorialitätsprinzip“ konnten im Grunde nur „Inländer“ Entschädigung beantragen. Dieses Prinzip ist ein wesentlicher Pfeiler des deutschen Wiedergutmachungsrechts und basiert auf der Unterscheidung zwischen Entschädigung und Reparation.[xix] Geschädigte Staatsbürger ausländischer Staaten wurden auf ihre eigenen Regierungen verwiesen.[xx] Insgesamt gingen ca. 2 Mio. Anträge ein, wovon 1,2 Mio. stattgegeben wurde.[xxi]
Das wirtschaftliche Wachstum der BRD führte zu Forderungen, vor allem durch die Claims Conference, ein Zusammenschluss jüdischer Organisationen, nach einer Erweiterung der Entschädigung.[xxii] 1965 wurde das BEG-Schlussgesetz mit über 100 Änderungen verabschiedet. Darunter zählte auch die Angleichung, also die Möglichkeit der Wiederaufnahme von bereits abgeschlossenen Fällen und einem nochmals erweiterten Berechtigtenkreis, welcher es auch Verfolgten, die nach dem 1. Oktober1953 aus Osteuropa ausgewandert waren, ermöglichte, Entschädigung zu erhalten.[xxiii] Die Frist für das Stellen von Anträgen war der 31. Dezember 1965.[xxiv] Hierbei konnten nur bei bereits bestehen Anträgen Ansprüche nachgeschoben werden.[xxv] Ab dem 1. Januar 1966 konnten Anträge nur noch eingehen, wenn Krankheiten sich ab dem 31. Dezember 1964 verschlimmert hatten oder neu entstanden waren.[xxvi] Ansprüche nach BEG konnten nach dem BEG-Schlussgesetz abschließend nur bis zum 31. Dezember 1969 gestellt werden.[xxvii]
Dieser Aufsatz wurde von Christian Helmecke, Student der TU Braunschweig, im Rahmen der Projektkooperation mit der TU geschrieben.
Quelle des Beitragsbilds: Landesamt für Finanzen Koblenz
[i] Volmer-Naumann, Julia: Bürokratische Bewältigung: Entschädigung für nationalsozialistisch Verfolgte im Regierungsbezirk Münster. Münster (Westfalen), Univ., Diss., 2011. S. 61.
[ii] Goschler, Constantin: Fünftes Kapitel: Rahmenbedingungen der Wiedergutmachung in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland. In: Goschler, Constantin. Wiedergutmachung: Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus 1945-1954, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 1992. S. 185.
[iii] Ebd. S. 186.
[iv] Ebd. S. 186.
[v] Volmer-Naumann, Julia: Bürokratische Bewältigung: Entschädigung für nationalsozialistisch Verfolgte im Regierungsbezirk Münster. Münster (Westfalen), Univ., Diss., 2011. S.63.
[vi] Goschler, Constantin: Fünftes Kapitel: Rahmenbedingungen der Wiedergutmachung in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland. In: Goschler, Constantin. Wiedergutmachung: Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus 1945-1954, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 1992. S. 186.
[vii] BMF: Kalendarium zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht. Gesetzliche und außergesetzliche Regelungen sowie Richtlinien im Bereich der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. [(URL: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/Kalendarium-Entschaedigung-von-NS-Unrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=5) abgerufen am 09.03.2023] S. 5.
[viii] Goschler, Constantin: Fünftes Kapitel: Rahmenbedingungen der Wiedergutmachung in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland. In: Goschler, Constantin. Wiedergutmachung: Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus 1945-1954, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 1992. S. 186.
[ix] Hockerts, Hans Günter: Wiedergutmachung in Deutschland. In: Vierteljahresheft für Zeitgeschichte. Jg. 49 (2001), Heft 2. S. 176.
[x] Ebd. S. 176.
[xi] Volmer-Naumann, Julia: Bürokratische Bewältigung: Entschädigung für nationalsozialistisch Verfolgte im Regierungsbezirk Münster. Münster (Westfalen), Univ., Diss., 2011. S. 172.
[xii] Ebd. S. 175.
[xiii] Ebd. S. 175/176.
[xiv] Ebd. S. 176.
[xv] Rebentisch, Jost: Entstehungsgeschichte und Kontext der (Nicht-) Entschädigungen für NS-Verfolgte seit den fünfziger Jahren [Konferenzbeitrag]. Forum Justizgeschichte e.V., Jahrestagung ´Verweigert und Verspätet – NS-Verfolgte und ihr Kampf um gesellschaftliche Anerkennung und Entschädigungen´, 2017, 24.09. S.6.
[xvi] BMF: Wiedergutmachung – Regelungen zur Entschädigung von NS-Unrechts. [(URL: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/2018-03-05-entschaedigung-ns-unrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=17) abgerufen am 09.03.2023] S. 7.
[xvii] Ebd. S.178.
[xviii] Rebentisch, Jost: Entstehungsgeschichte und Kontext der (Nicht-) Entschädigungen für NS-Verfolgte seit den fünfziger Jahren [Konferenzbeitrag]. Forum Justizgeschichte e.V., Jahrestagung ´Verweigert und Verspätet – NS-Verfolgte und ihr Kampf um gesellschaftliche Anerkennung und Entschädigungen´, 2017, 24.09. S.5.
[xix] Goschler, Constantin: Fünftes Kapitel: Rahmenbedingungen der Wiedergutmachung in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland. In: Goschler, Constantin. Wiedergutmachung: Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus 1945-1954, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 1992. S. 155.
[xx] Ebd. S. 155.
[xxi] Hockerts, Hans Günter: Wiedergutmachung in Deutschland. In: Vierteljahresheft für Zeitgeschichte. Jg. 49 (2001), Heft 2. S. 184.
[xxii] Volmer-Naumann, Julia: Bürokratische Bewältigung: Entschädigung für nationalsozialistisch Verfolgte im Regierungsbezirk Münster. Münster (Westfalen), Univ., Diss., 2011. S. 188.
[xxiii] Ebd. S. 188.
[xxiv] Ebd. S. 189.
[xxv] Ebd. S. 189.
[xxvi] Ebd. S. 189.
[xxvii] Ebd. S. 189.
Quellen- und Literaturverzeichnis
BMF: Kalendarium zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht. Gesetzliche und außergesetzliche Regelungen sowie Richtlinien im Bereich der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. [(URL:https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/Kalendarium-Entschaedigung-von-NS-Unrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=5) abgerufen am 09.03.2023]
BMF: Wiedergutmachung – Regelungen zur Entschädigung von NS-Unrechts. [(URL: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_Bestellservice/2018-03-05-entschaedigung-ns-unrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=17) abgerufen am 09.03.2023]
Goschler, Constantin: Fünftes Kapitel: Rahmenbedingungen der Wiedergutmachung in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland. In: Goschler, Constantin. Wiedergutmachung: Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozialismus 1945-1954, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 1992.
Hockerts, Hans Günter: Wiedergutmachung in Deutschland. In: Vierteljahresheft für Zeitgeschichte. Jg. 49 (2001), Heft 2.
Rebentisch, Jost: Entstehungsgeschichte und Kontext der (Nicht-) Entschädigungen für NS-Verfolgte seit den fünfziger Jahren [Konferenzbeitrag]. Forum Justizgeschichte e.V., Jahrestagung ´Verweigert und Verspätet – NS-Verfolgte und ihr Kampf um gesellschaftliche Anerkennung und Entschädigungen´, 2017, 24.09.
Volmer-Naumann, Julia: Bürokratische Bewältigung: Entschädigung für nationalsozialistisch Verfolgte im Regierungsbezirk Münster. Münster (Westfalen), Univ., Diss., 2011.