Arne Westby, 2015

Arne Helge Westby

6. Januar 1920 – 2. Januar 2020

Leben vor der Haft

Arne Helge Westby wurde am 6. Januar 1920 in Nesodden, einer Gemeinde auf einer Halbinsel ca. 5 km südlich von Oslo, geboren und hatte einen jüngeren und einen älteren Bruder. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder begann er 1935 zunächst eine Lehre als Zinnschmied. Beide Brüder konnten 1938 aufgrund des kriegsbedingten Zinnmangels nicht weiter beschäftigt werden. Sie fanden danach Arbeit bei der Firma Lehmkuhl, einem Metallbetrieb bei Oslo. Hier herrschte kein Materialmangel vor, da die Rohstoffe aus Schweden bezogen werden konnten. Arne Westbys Aufgabenbereich umfasste hauptsächlich Schweißarbeiten. Zum Zeitpunkt der deutschen Besetzung Norwegens im April 1940 war er bei der Firma Lehmkuhl beschäftigt.

Widerstand in Norwegen und Flucht nach Schweden

Nach zwei gescheiterten Fluchtversuchen nach Schweden im Sommer 1940 begann Arne Westby zusammen mit einigen Arbeitskollegen der Firma Lehmkuhl, dem Widerstand zuzuarbeiten. Er sollte der Widerstandsbewegung Beobachtungen über die Vorkommnisse am Flughafen Oslo-Fornebu liefern, wo Montagearbeiten der Firma Lehmkuhl stattfanden. Nach Warnungen über seine drohende Verhaftung gelang ihm im Juni 1941 die Flucht nach Schweden. Er kam als politischer Flüchtling zunächst nach Göteborg, dann im August 1941 nach Stockholm. Dort arbeitete er für die norwegische Gesandtschaft unter anderem als Bote. Im März 1942 empfahl ihm die Gesandtschaft dringend, als Passagier auf den KvarstadKvarstad-Schiff -Schiffen nach Großbritannien zu fliehen. Er wurde der D/S Skytteren zugeteilt.

Haft und ZwangsarbeitZwangsarbeit Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs arbeiteten über 13 Millionen zivile Zwangsarbeiter*innen, Kriegsgefangene und Inhaftierte unter Zwang im Deutschen Reich. Sie waren vor allem in der Rüstungsindustrie und in der Landwirtschaft eingesetzt. 

Die deutsche Kriegsmarine nahm Arne Westby am 1. April 1942 gefangen. Deutsche Wachboote hatten zuvor die D/S Skytteren im schwedisch-norwegischen Grenzgebiet bei Skagerrak gestellt und sie wurden von der Besatzung selbst versenkt. Über Frederikshavn kam er in das Marineinternierungslager Milag/Malag Nord bei Tarmsted, 30 km nordöstlich von Bremen. Im April 1943 wurde er wegen „landesverräterischer Feindbegünstigung„Feindbegünstigung“ Feindbegünstigung war nach § 91b Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) in der NS-Zeit definiert als das Leisten von Vorschub einer feindlichen Macht während eines Krieges bzw. bei einer drohenden kriegerischen Auseinandersetzung oder das Zufügen von Nachteilen der Kriegsmacht des Deutschen Reichs.“ vom SondergerichtSondergericht Ab dem 21. März 1933 in jedem Oberlandesgerichtsbezirk eingerichtet, dienten die Sondergerichte der schnellen strafrechtlichen Ahndung regimekritischen Verhaltens. Wurden zunächst lediglich politische Verfahren verhandelt, befassten sich die Sondergerichte. ab 1938 auch mit kriminellen Delikten. Mit Kriegsbeginn erweiterte sich der Zuständigkeitsbereich auf nahezu die gesamte Strafrechtsprechung. In sog. Schnellverfahren wurden mehrere 1.000 Menschen unterschiedlicher Herkunft zum Tode verurteilt. Kiel zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Haft im Strafgefängnis Rendsburg und Zuchthaus Sonnenburg wurde er im Juni 1944 in das Strafgefängnis Wolfenbüttel verlegt. In Sonnenburg zog er sich eine schwere Augenentzündung zu. In Wolfenbüttel leistete Arne Westby wie seine Mitgefangenen Zwangsarbeit für die Firma Voigtländer & Sohn bei der Herstellung von optischem Kriegsgerät. Er war dort für eine Schleifmaschine zuständig.

 Erster Besuch der Gedenkstätte Wolfenbüttel

Jan Westby
Sohn von Arne Helge Westby, 2023

Justizverurteilte und KZ-Häftlinge in der Erinnerungskultur

Jan Westby
Sohn von Arne Helge Westby, 2023

Zwischen Krankheit und Freiheit

Am 8. April 1945 wurden die „Nacht- und Nebel“-Gefangenen aufgrund der vorrückenden amerikanischen Truppen von Wolfenbüttel ins Strafgefängnis Magdeburg verlegt. Arne Westby wurde von seinen Mitgefangenen getrennt und vermutlich aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes per LKW nach Genthin gefahren und dort sich selbst überlassen. Von dort schaffte er es aus eigener Kraft in ein Kriegslazarett im 30 km entfernten Burg, wurde aber erneut verhaftet und verhört. Aufgrund seiner in Wolfenbüttel wieder ausgehändigten Kriegsuniform glaubten die Deutschen seine Behauptung, dass er aus dem Malag/Milag Nord bei Bremen kam und somit ein Kriegsgefangener sei. Daher brachte man ihn ins Kriegsgefangenenlager StalagStalag Stammlager (Stalag) ist die Bezeichnung für Lager, in denen die Wehrmacht Kriegsgefangene mit Mannschaftsgrad unterbrachte. Von dort aus wurden die Gefangenen in der Regel auf Arbeitskommandos verteilt. XI A Altengrabow, ca. 20 km südöstlich von Burg. US-Truppen befreiten es am 3. Mai 1945. Arne Westby gelangte über Hildesheim und Reims nach London, wo er im dortigen norwegischen Krankenhaus versorgt wurde. Sein Gesundheitszustand war äußerst schlecht: es wurden Gelbsucht, eine Dickdarm- und eine Lungenentzündung festgestellt.

Kampf gegen Krankheit und Arbeit als Zeitzeuge in der Nachkriegszeit

Zwar erholte Arne Westby sich in London von seinen Krankheiten, aber die in der Haft zugezogene Tuberkulose wurde erst nach seiner Rückkehr nach Norwegen im November 1945 entdeckt und behandelt.

Jan Westby
Sohn von Arne Helge Westby, 2023

Fahrzeug der Rettungsaktion „Weiße BusseWeisse Busse Von März bis Mai 1945 wurden in einer Rettungsaktion des schwedischen Roten Kreuzes ca. 15.000 Häftlinge mit „Weißen Bussen“ aus deutschen Konzentrationslagern nach Schweden gebracht. Zum Schutz vor Luftangriffen waren die Busse weiß gestrichen. Die Geretteten waren überwiegend Norweger*innen und Dän*innen.“, 2008

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Die gesundheitlichen Probleme schränkten ihn beruflich immer wieder stark ein, so dass ihm ab 1959 schließlich vollständige Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde.

Arne Westby engagierte sich Zeit seines Lebens in der Vermittlungsarbeit als ehrenamtlicher Zeitzeuge bei der Organisation Hvite BusserWeisse Busse Von März bis Mai 1945 wurden in einer Rettungsaktion des schwedischen Roten Kreuzes ca. 15.000 Häftlinge mit „Weißen Bussen“ aus deutschen Konzentrationslagern nach Schweden gebracht. Zum Schutz vor Luftangriffen waren die Busse weiß gestrichen. Die Geretteten waren überwiegend Norweger*innen und Dän*innen. (Weiße Busse). Sie bietet seit 1992 bis heute in Anlehnung an die „Weißen Busse“ des schwedischen Roten Kreuzes Schulklassenfahrten zu Gedenkstätten von ehemaligen Konzentrationslagern in Deutschland und Europa an.

Jan Westby
Sohn von Arne Helge Westby, 2023

Entschädigung und Invaliditätszahlungen

Arne Westby stellte im Juni 1960 einen Antrag auf Haftentschädigung aus dem GlobalabkommenGlobalabkommen Zwischen 1959 und 1964 schloss die Bundesrepublik Deutschland bilaterale Entschädigungsabkommen mit zwölf westeuropäischen Staaten. Darin wurden Pauschalzahlungen vereinbart, mit denen alle Entschädigungsansprüche abgegolten werden sollten. Die Verteilung der Gelder oblag jeweils dem Empfängerstaat.. Er erhielt bereits zwei Monate später, im August 1960, Entschädigung für 37 Monate Haft (1. April 1942 - 8. Mai 1945). Zusätzlich dazu wurde ihm eine einmalige Invaliditätszahlung gewährt. Laut dem nach dem Globalabkommen in Norwegen beschlossenen Gesetz zur Verteilung der Entschädigung bestand Anspruch auf diese einmalige Zahlung, wenn die Invalidität bereits mindestens fünf Jahre nachgewiesen war und mindestens 30 Prozent betrug. Beide Bedingungen hatte Arne Westby erfüllt. Abgesehen von diesen Entschädigungszahlungen erhielt er eine Kriegsopferrente.

Entschädigung und Kriegsopferrente – Anerkennung oder Pflicht?

Jan Westby
Sohn von Arne Helge Westby, 2023