Interview mit André Charon, Sohn von André Charon, 2018
Gedenkstätte Wolfenbüttel
Leben vor der Haft
André Charon wurde am 1. Juli 1921 im belgischen Liège geboren. Nach dem Abschluss der Volksschule besuchte er sechs Jahre lang eine höhere Schule und begann im Anschluss mit dem Medizinstudium an der Universität von Liège. Diese Ausbildung musste er im Zuge seiner Verhaftung unterbrechen und konnte sie erst 1946 wieder aufnehmen.
Widerstand und Verhaftung
Bereits 1936 war André Charon als Mitglied der „Ligue Antifasciste“ im Widerstand aktiv. Er kam in Kontakt mit der „Secours Rouge International“ und half dabei, Freiwillige für die „Internationalen Brigade“ im Spanischen Bürgerkrieg über die Grenze zu bringen. Er verteilte auch Flugblätter und verkaufte Solidaritätsmarken, um den Widerstand der spanischen Republikaner zu unterstützen. Vom 10. Mai 1940 bis Ende Juli 1940 wurde er zur Armee eingezogen. Im November 1940 schloss er sich mit seinem Vater dem Widerstand in der Gruppe „Les Partisants Armés“ an. Er führte Sabotageaktionen durch. Anschließend schloss er sich dem „Alliierten Nachrichtendienst“ (SRA) in der Gruppe „Luc-Marc“ an. 1942 wurde er von der GestapoDie Gestapo, die geheime Staatspolizei des NS-Regimes, war die politische Polizei in der NS-Zeit. verhaftet und in das St.-Leonard-Gefängnis in Lüttich gebracht. Während der Verhöre wurde er gefoltert und verlor unter anderem die Sehkraft auf seinem rechten Auge. Nach dem Krieg sagte er: „Ich hatte Glück, dass ich nichts sagen und niemanden denunzieren konnte. Ich kann sagen, dass keiner meiner Kameraden mir einen Tag im Gefängnis schuldet. Aber es ist sehr schwer. Ich würde nie jemandem böse sein, der geredet hat“.
Die Auswirkungen des Verhörs und der Haft
André Charon
Sohn von André Charon
2018
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Mehr InformationenIm September 1942 verurteilte ihn ein FeldkriegsgerichtTeil der im Mai 1933 wieder eingeführten Militärgerichte. Diese befassten sich sowohl mit Verfahren gegen Angehörige der Wehrmacht als auch gegen Zivilist*innen, insbesondere in besetzten Gebieten. Insgesamt verhängten sie etwa 40.000 Todesurteile, von denen ein großer Teil vollstreckt wurde. unter anderem zusammen mit Louis Bastin zu drei Jahren Gefängnis wegen „Förderung bolschewistischer Aktivitäten“ innerhalb der Widerstandsnetzwerke des „Rassemblement Wallon pour la liberté du pays“ (R.N.J. und R.W.), die beide der linksradikalen belgischen Arbeiterpartei angehörten. Im Oktober wurde er nach Wolfenbüttel verlegt. Nachdem er in mehreren Arbeitsgruppen außerhalb des Gefängnisses gearbeitet hatte, wurde er aufgrund seines Medizinstudiums im Gefängnislazarett eingesetzt. Nach der BefreiungBelgien: Das komplette Staatsgebiet Belgiens wurde am 4. Februar 1945 befreit. Niederlande: Im September 1944 konnte durch die Alliierten nur ein kleiner Teil im Süden der Niederlande befreit werden. Das restliche Staatsgebiet wurde am 5. Mai 1945 befreit. Norwegen: Die Besatzung endete mit der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945. blieb er freiwillig noch einige Wochen in Wolfenbüttel, pflegte die Schwerkranken und half den Alliierten vor Ort.
Engagement nach dem Krieg
Nach der Befreiung setzte sich André Charon besonders für die Interessen seiner Kameraden ein, insbesondere für die politischen Gefangenen, aber auch für Kriegsopfer und Personen, die von der NS-Justiz verurteilt und deportiert wurden.
Er war einer der ersten Gutachter des „L'Office Médico Légal“ (OML), einer belgischen Behörde, die mit medizinischen Gutachten für Angehörige des Militärs, der Polizei und Opfern von Krieg befasst ist und erstellte medizinische Gutachten für Kriegsopfer. Außerdem leistete er einen wichtigen Beitrag für neue Gesetzgebungen, die ehemaligen Häftlingen aus deutschen Konzentrationslagern und Gefängnissen den Zugang zu Entschädigung für erlittene psychische und physische Schäden erleichterten. „Alle belgischen politischen Gefangenen stehen in seiner Schuld“ Dr. Jean Van Roy, Vorsitzender von OML, bei der Beerdigung André Charons.
Sein letzter Beitrag war die Überarbeitung des Königlichen Erlasses zur Reorganisation des OML.
Er war Nationalsekretär der „Fédération Royale Nationale des Militaires Mutilés et In-valides de la Guerre“ (F.R.N.I.).
Er war 1948 Mitbegründer der Amicale des Prisonniers Politiques Rescapés de WolfenbüttelEhemalige belgische Inhaftierte des Strafgefängnisses Wolfenbüttel gründeten 1948 einen Überlebendenverband der politischen Gefangenen. Der Verband diente den Mitgliedern zum Austausch über Verfolgungs- und Hafterfahrungen und als Interessenvertretung, unter anderem für soziale und medizinische Hilfen, der Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen und der gesellschaftlichen Wahrnehmung als Opfergruppe., dem Überlebendenverband der politischen Gefangenen aus Belgien des Strafgefängnisses Wolfenbüttel. Später wurde er einer ihrer Vorsitzenden.
In dem Verband tauschten sich die Mitglieder über ihre Hafterfahrungen aus und setzten sich für soziale und medizinische Hilfe, für Entschädigungsleistungen sowie für die Erinnerung an das NS-Unrecht ein. Bis zu seinem Tod 2013 engagierte sich André Charon für seine ehemaligen Mitinhaftierten und für die Weitergabe der Erinnerung an die Nazi-Verbrechen.
Foto der ersten Versammlung der Amicale de Prisonniers Politques Rescapés de Wolfenbüttel, 1948
Gedenkstätte Wolfenbüttel
Der Stellenwert der Amicale
André Charon
Sohn von André Charon
2018
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Mehr InformationenVictor Lauwers.
Gent, 31. Oktober 1946
rue neuve St Pierre, 136
Sehr geehrter Herr,
endlich ist es mir gelungen, den Namen und die Adresse des Medizinstudenten André zu finden, der mich von November 1943 bis Februar 1944 im Krankenrevier des Gefängnisses Wolfenbüttel so gut gepflegt hat.
[Ich bin] sehr erfreut zu hören, dass Sie noch am Leben sind!
[...]
Sie, der Sie mich in Deutschland [abwertend] wegen Diphtherie (Lähmung) behandelt haben, darf ich Sie bitten, mir eine Bescheinigung darüber zukommen zu lassen, dass ich mich im November 1943 in der Nähe von Wolfenbüttel bei der Arbeit bei Bussing [Büssing] in Braunschweig angesteckt habe und dass Sie mich im Krankenrevier des Gefängnisses Wolfenbüttel von Ende November 1943 behandelt haben.
Wir, die Unterzeichnenden – Vorsitzender und Sekretär der Säuberungskommission der oben genannten Amicale –, bestätigen, dass gemäß unserem Kenntnisstand und den sich im Besitz der oben genannten Amicale befindlichen offiziellen deutschen Dokumenten Walter Collard, geboren am 20.11.1927, wohnhaft in der 2 rue Pieds des Vignes, Vivegnis, tatsächlich vom 27.9.1944 bis zur Befreiung des Strafgefängnisses am 11.4.45 in Wolfenbüttel interniert war.
[…]
Da sein Verhalten tadellos war, erfüllt Walter Collard alle Voraussetzungen für die Anerkennung als politischer Gefangener.
[Seite 2] […]
Im Winter 1944/45 wurde er zudem einige Tage wegen einer Bronchitis behandelt, die er sich wie viele andere junge Gefangene aufgrund der Lebensbedingungen zugezogen hatte: sehr harte Arbeit, unzureichende Kleidung, selbst bei sibirischen Temperaturen.
Sie wurden wiederholt daran gehindert, sich zur Behandlung in die Krankenstation zu begeben, obwohl sie erbärmlich husteten.
Collard befand sich in dieser Situation.
Zeugnis der Amicale des Prisonniers Politiques rescapés de Wolfenbüttel für Henri Bielen, 30.09.1948
Archivdienst für Kriegsopfer, Belgisches Staatsarchiv,
Statut Prisonnier Politique, PP 501403/0927
[...]
Wir, die Unterzeichnenden, Vorsitzende und Sekretär des Säuberungskomitees des oben genannten Vereins der Freunde, bestätigen hiermit, dass es unserem Wissen entspricht und dass es aus den offiziellen deutschen Dokumenten, die sich in unserem Besitz befinden, hervorgeht, dass:
BIELEN Henri, wohnhaft in 57, Bosstraat, MAASEIK,
tatsächlich in Wolfenbüttel interniert wurde vom 3.10.43, mit einem Konvoi aus Merxplas kom-mend, bis zum 19.11.44; an diesem Tag wurde er aus unbekanntem Grund in das Lager 21 in Helmstedt - Wattenstedt verlegt.
[...]
Münze zum 50. Jubiläum der Amicale des Prisonniers Politiques Rescapés de Wolfenbüttel
Privatbesitz Danny Vanhouwe
Entschädigung
Nach seiner Rückkehr beendete André Charon sein Medizinstudium in Belgien. Zwischen 1946 und 1948 erhielt er eine finanzielle Unterstützung für sein Studium. Zudem wurde er von Immatrikulations- und Studiengebühren befreit.
André Charon wurde der Status eines „politischen Gefangenen“ zugesprochen, damit erhielt er im Sommer 1948 eine Haftentschädigung vom belgischen Staat. Darüber hinaus erhielt er zahlreiche Auszeichnungen für seine Tätigkeit als Widerstandskämpfer, darunter den Leopold-II-Orden mit gekreuzten Schwertern und Rosette, einen der höchsten Verdienstorden Belgiens. Dieser Orden war mit einer kleinen lebenslangen, jährlichen Kriegsrente verbunden, bei der sowohl seine Zeit im Widerstand als auch als politischer Gefangener angerechnet wurde.
Durch seine Verletzungen am rechten Auge konnte André Charon nicht Chirurg werden. Da er den Status als „politischer Gefangener“ erhalten hatte, erhielt er 1948 rückwirkend ab 1945 für die physischen und psychischen Folgen seiner Inhaftierung eine Invaliditätsrente zugesprochen. In den folgenden Jahren wurde die Rente immer wieder dem Invaliditätsgrad angepasst. 1982 und 1988 wurden bei André Charon eine Verschlechterung der Gesundheit aufgrund der Haftzeit festgestellt, durch die sich seine Invaliditätsrente erhöhte.
Sein Antrag auf den Status eines „zivilen Widerstandskämpfers“ im Jahr 1953 wurde jedoch abgelehnt. Auch seinem 1962 gestellten Antrag auf Zulage nach dem Gesetz vom 20. Juni 1960 für Soldaten, die während des Zweiten Weltkriegs in den belgischen Streitkräften in Großbritannien gedient hatten, wurde nicht entsprochen. Aus den Geldern des Globalabkommens mit der BRD erhielt er im Januar 1966 eine Entschädigungszahlung.
Zudem wurden André Charon aufgrund seines Status als „politischer Gefangener" weitere finanzielle Erleichterungen im Alltag gewährt, wie beispielsweise die Erstattung von sechs Prozent Mehrwertsteuer beim Kauf eines Autos sowie bei Reparaturen und Ersatzteilen.
Die Aufgaben der Amicale in der Zukunft
André Charon
Sohn von André Charon
2018
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Mehr InformationenAuswirkungen der Haft auf die Familie
André Charons gleichnamiger Sohn André Charon, 1955 in Ixelles geboren, engagiert sich wie sein Vater für humanistische und demokratische Werte. Er steht in engem Kontakt mit der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel, bewahrt das Erbe seines Vaters und vertritt derzeit die Amicale des Prisonniers Politiques Rescapés de Wolfenbüttel bei Gedenkfeiern.
Andrés Hoffnungen für die Zukunft
André Charon
Sohn von André Charon
2018
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