Dylan Casteleyn, Angehöriger von Albert Vandewalle

Gedenkstätte Wolfenbüttel, 2023
Albert Vandewalle Potrait

Albert Vandewalle

19. Februar 1917 – 20. Mai 1945

Leben vor der Haft

Albert Vandewalle wurde am 19. Februar 1917 im belgischen Gits geboren. Er war der jüngste Sohn von Emma Casteleyn und René Vandewalle, die vor ihm bereits drei Töchter hatten: Maria, Martha und Bertha. Von Beruf war Albert Vandewalle Holzfäller.

Zwangsarbeit

Am 31. März 1943 verließ Albert Vandewalle den Bahnhof des belgischen Roeselare als Zwangsarbeiter in Richtung Hannover, wo er als Zimmermann eingesetzt wurde. Als Albert Vandewalle in Deutschland ankam, wurde er in dem Privathaus der Familie Brüsch in der Breiten Straße 47 in der Bergbaustadt Goslar untergebracht.

Albert Vandewalle Überweisungsschein Arbeitsamt

Überweisungsschein von Albert Vandewalle mit dem Stempel „Dienstverpflichtet“, 31. März 1943

Archivdienst für Kriegsopfer, Belgisches Staatsarchiv, Statut deportierter Zwangsarbeiter, DEP 369565

Verhaftung in Deutschland

Am 1. August 1944 wurde Albert Vandewalle zusammen mit drei Franzosen und drei weiteren Belgiern unter dem Vorwurf des Hörens ausländischer Radiosender, eines Verstoßes gegen die „Rundfunkverordnung“ vom 1. September 1939, durch die Gestapo verhaftet.

Tatsächlich hatte der Belgier Elias Vanbecelaere, der wie Albert Vandewalle in einem Privathaus untergebracht war, im März 1944 ein Radio gekauft. Die drei Franzosen sowie die drei weiteren Belgier, darunter Albert Vandewalle, besuchten ihn mehrfach zwischen April und Juli 1944, um Radio zu hören. Sie verfolgten den D-Day, das Vorrücken alliierter Truppen und verbreiteten die gehörten Nachrichten.

Am 29. August 1944 verurteilte das Sondergericht Braunschweig Albert Vandewalle nach fast einmonatiger Untersuchungshaft zu 18 Monaten Haft.

Haft und Zwangsarbeit

Am 1. November 1944 wurde Albert Vandewalle in das Strafgefängnis Wolfenbüttel verlegt, wo er mit der Ordnungsnummer 1612 dem Außenarbeitsort „Kalkwerk Oker“ zugeteilt wurde.

Albert Vandewalle Kalkwerk Oker

Historische Aufnahme des Kalkwerkes Oker, vor 1953

www.technikmuseum-online.de

Dieses Arbeitskommando war wegen der hohen Arbeitsanforderungen mit langen Arbeitsschichten, schikanöser Behandlung seitens der Aufsichtsbeamten sowie schlechter Versorgung mit Nahrung und Kleidung von den Gefangenen besonders gefürchtet. Das Kalkpulver schädigte die Atemwege und verursachte eine Krankheit, die die Inhaftierten als „Oker-Krankheit“ bezeichneten. Immer wieder versuchten Gefangene zu entfliehen oder verstümmelten sich selbst, um den entsetzlichen Arbeits- und Lebensbedingungen zu entkommen.

Aufgrund der Entwicklung der Kriegslage wurde Anfang März 1945 beschlossen, alle im „Kalkwerk Oker“ arbeitenden Inhaftierten in das Strafgefängnis Wolfenbüttel zurückzuverlegen. Albert Vandewalle erreichte als Schwerkranker das Strafgefängnis Wolfenbüttel und kam in das Lazarett. Dieses war überfüllt und es gab kein medizinisches Personal.

Albert Vandewalle Medizinischer Bericht Kalkwerk Oker

Medizinischer Bericht des stellvertretenden Gefängnisarztes Dr. Brose über das Kalkwerk Oker, 14. Oktober 1940

NLA Abteilung Wolfenbüttel

Nach der Befreiung

Am 11. April 1945 wurde die Stadt Wolfenbüttel und damit auch das Strafgefängnis Wolfenbüttel durch Truppen der 9. US-Armee befreit. In der Krankenstation des Strafgefängnisses fanden US-amerikanische Soldaten unter anderem Albert Vandewalle, der inzwischen weniger als 45 Kilogramm wog. Am 27. April 1945 wurde er von den US-Amerikanern zur weiteren Behandlung aus Wolfenbüttel in ein Krankenhaus in der Stadt Salzgitter-Drütte verlegt. Von dort wurde er aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes weiter nach Hildesheim gebracht, wo die Alliierten auf einem ehemaligen Flughafen der Wehrmacht einen vorgeschobenen Landeplatz eingerichtet hatten, um Kriegsgefangene und Displaced Persons zu repatriieren. Zudem war ein Feldlazarett mit 600 Betten aufgebaut worden. Um für ihn eine bessere medizinische Behandlung gewährleisten zu können, wurde Albert Vandewalle am 1. Mai 1945 per Flugzeug in das französische Prosnes und weiter am 10. Mai nach Soissons in Frankreich gebracht. Dort befand sich ein Krankenhaus der US-Armee.

Trotz aller Bemühungen um sein Leben starb Albert Vandewalle im Alter von 28 Jahren am 20. Mai 1945 an den Folgen von Entbehrungen und Krankheiten durch Zwangsarbeit und Haft. Er wurde fälschlicherweise auf dem US-Soldatenfriedhof Champigneul beigesetzt und 1947 auf den belgischen Soldatenfriedhof in Leopoldsburg umgebettet. Der Verbleib der Leiche von Albert Vandewalle blieb bis 2019 für seine Familie ungeklärt, da er als Zivilist auf einem Soldatenfriedhof begraben wurde.

Albert Vandewalle Akte Internationaler Suchdienst ITS Arolsen

Die Akte von Albert Vandewalle galt im März 1950 beim Internationalen Suchdienst ITS Arolsen als abgeschlossen,
21. März 1950

Arolsen Archives

Entschädigung

René Vandewalle beantragte am 5. Juni 1947 für seinen Sohn posthum den Status eines „politischen Gefangenen“. Der Antrag wurde am 19. September 1951 mit der Begründung abgelehnt, dass seine Verurteilung nicht auf einer „selbstlosen Tätigkeit gegenüber dem Feind“ erfolgte.

Entschädigungsbemühungen der Angehörigen

Dylan Casteleyn,
Angehöriger von Albert Vandewalle, 2023

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Mehr Informationen
Albert Vandewalle Ablehnungsbescheid Seite 1
Albert Vandewalle Ablehnungsbescheid Seite 2

Ablehnung des Antrags auf den Status „politischer Gefangener“,
19. September 1951

Archivdienst für Kriegsopfer, Belgisches Staatsarchiv,
Statut Prisonnier Politique, PP AD 4587 8925

Er beantragte außerdem am 30. September 1947 den Status als „deportierter Zwangsarbeiter“, diesem Antrag wurde durch das Ministerium für Wiederaufbau mit einem Beschluss vom 12. November 1954 stattgegeben. Da Albert Vandewalle als verstorben galt, waren damit allerdings keine Entschädigungsleistungen verbunden. Es handelte sich lediglich um die Anerkennung, dass er als Zwangsarbeiter Opfer und nicht Kollaborateur der Nationalsozialist*innen war. Dazu hieß es im Schreiben des zuständigen belgischen Ministeriums für Wideraufbau am 12. November 1954:

„In der Erwägung, dass er vom 31. März 1943, dem Tag seiner Deportation, bis zum 30. April 1945, dem Tag seines mutmaßlichen Todes, zwangsweise beschäftigt war […]. Der Verstorbene hat Anspruch auf die posthume Anerkennung als Deportierter zum Zwecke der Zwangsarbeit während des Krieges 1940-1945.“

Engagement der Folgegeneration

Dylan Casteleyn, ein Angehöriger von Albert Vandewalle, stieß während der Auseinandersetzung mit seiner Familiengeschichte im Bevölkerungsregister von Gits auf den Eintrag, dass Albert Vandewalle „vermutlich Ende April 1945 in Deutschland verstorben" sei. Dieses weckte sein Interesse und er begann zur Geschichte von Albert Vandewalle zu forschen. Seine Recherchen dauerten schließlich sechs Jahre. Durch sein Engagement konnte er 75 Jahre nach dem Tod Albert Vandewalles sein Schicksal aufklären. Er veröffentlichte 2019 eine Biografie über ihn und änderte die zuvor falsche Grabinschrift.

Albert Vandewalle Buchautor Dylan Casteleyn

Dylan Casteleyn mit der von ihm veröffentlichten Biografie von Albert Vandewalle, 2023

Gedenkstätte Wolfenbüttel